Süddeutsche Zeitung: Tieftraurige Folklore tanzbar machen

Božo Vrećo wird oft als bosnische Conchita Wurst bezeichnet. Aber der bosnische Musiker trägt nicht nur Bart und Kleider – er will alte Liebesliedtraditionen retten.

Bei „Franz & Sophie“, gelegen in einer Seitenstraße in Sarajevo, treffen sich die Freunde organischen Tees, die Künstler und die Intellektuellen der Stadt. Es ist ein eher buntes Volk, und mittendrin sitzt ganz in Schwarz der Erneuerer des bosnischen Liebeslieds. Božo Vrećo trägt einen schwarzen Hut zu schwarzem Hemd und schwarzer Hose, schwarz ist der Bart und das zum Pferdeschwanz gebundene Haar, schwarz sind die geschminkten Ränder unter den Augen und die Tattoos, die von den Händen bis zum Hals den Körper schmücken. „Es ist das Schwarz der Frauen vom Balkan“, sagt Vrećo und schickt ein fröhliches, jugendliches Lachen hinterher.

Frauenkleider und Vollbart sind schon immer ein Markenzeichen des 35-jährigen Sängers mit der gern als samtweich und glockenklar beschriebenen Stimme gewesen. Oft genug hat man ihn deshalb mit Conchita Wurst aus Österreich verglichen. Božo Vrećo betont bei allem Respekt lieber die Unterschiede, die jenseits der Äußerlichkeiten vor allem darin liegen, dass er sich nicht als Kunstfigur versteht und inszeniert, sondern nur „seiner Natur folgt“ und „traditionelle Lieder“ singt.

„Die Leute verstehen zwar die Texte nicht“, sagt er, „aber sie verstehen die Emotion.“

Er ist ein Freigeist, der sich nicht einordnen und nicht einfangen lassen will – nicht durch ein klar definiertes Geschlecht, nicht durch eine klar definierte ethnische Zugehörigkeit. „Ich bin ein Mann und eine Frau im selben Körper, ein Tenor und ein Sopran“, sagt er. Obendrein lebt er, was auch fast 25 Jahre nach Kriegsende bei Weitem keine Selbstverständlichkeit ist, als bosnischer Serbe aus Foča heute in der Hauptstadt Sarajevo. Und dort hat er sich auf jene folkloristischen Liebeslieder spezialisiert, die vor allem in der dortigen bosniakischen, also muslimischen Tradition gepflegt werden.

Sevdalinka heißt die Gattung, oder auch Sevdah. Der Name wird abgeleitet vom türkischen Wort für Liebe oder auch aus dem Arabischen, wo sawda „schwarze Galle“ bedeutet. Beides ist passend, denn Sevdah steht für Liebeslieder, die todtraurig sind und furchtbar bitter. Es sind Lieder über verlorene und unerwiderte Liebe. Die Wurzeln dieser zumeist mit Akkordeon vorgetragenen Musik liegen im 15. Jahrhundert. Es verschmelzen osmanische und slawische Traditionen. Sevdalinka ist für Bosnien, was der Fado für Portugal und der Blues für die Schwarzen in Amerika ist – schwerblütig, schwermütig und überaus beliebt.

Božo Vrećo kennt die Lieder seit Kindertagen. Seine Mutter, eine Künstlerin, die er gern als seine „Muse“ nennt, hat sie im Radio gehört. Bevor er selbst zur Musik kam, hat er allerdings noch ein Archäologiestudium in Belgrad abgeschossen. Dort, wo er „Enttäuschungen erlebt und überlebt hat“, vertiefte er seine Liebe zu den Liebesliedern. „Es gibt eine Ähnlichkeit zwischen der Archäologie und dieser Musik“, sagt er. „Es geht um eine Suche in der Vergangenheit. Du musst durch die Zeit reisen.“

Der Sevdah zuliebe ist er nicht nur durch die Zeit gereist, sondern auch von Belgrad nach Sarajevo gezogen, zur Quelle der Lieder. Als Autodidakt hat er sich in die Musik vertieft. „Ich habe von den Größten gelernt“, verkündet er. Seinen ersten Auftritt hatte er in einem sehr kleinen, sehr alten Café in der Altstadt von Sarajevo. Heute arbeitet er an seinem sechsten Album und tourt auf der ganzen Welt. Durch die USA im vorigen Jahr, durch Australien in diesem Frühjahr, im September wird er auch im Münchner Gasteig auftreten. „Die Leute verstehen zwar die Texte nicht“, sagt er, „aber sie verstehen die Emotion – und bei der Musik geht es ja nicht darum, sie zu übersetzen, sondern sie zu fühlen.“

Den Sevdah-Traditionalisten zum Trotz ist Božo Vrećo stets auf der Suche nach dem eigenen Stil. „Ich will ein Original sein und keine Kopie“, sagt er, „und ich will die traditionelle Musik aus einer Box befreien.“ Was ihm vorschwebt, ist eine „Sevdah-Renaissance“. Dabei darf die tieftraurige Folklore auch mal tanzbar sein. „Die Lyrik bleibt immer tragisch, aber die Musik soll Hoffnung geben“, meint er.

Auch wenn die Konzerte stets ausverkauft sind, ist Božo Vrećo für die konservative Gesellschaft in Bosnien immer noch eine Herausforderung – mit seinem Auftreten, mit seinem Lebensstil. Von der Politik, die auf dem Balkan das Zusammenleben zerklüftet, hält er sich fern: „Mit diesem Müll will ich mich nicht mehr beschäftigen. Wir haben den Krieg überlebt, und ich möchte mich aufs Gute konzentrieren.“ Das Gute ist seine Musik, und vor überfrachteten Botschaften hütet er sich: „Ich will nur mein Leben leben“, sagt er, „aber wenn ich für mich selber kämpfe, kämpfe ich auch für alle anderen mit.“ Dass er dafür nicht von allen geliebt wird, nimmt er gelassen in Kauf: „Die bösen Leute mögen mich nicht, und das ist in Ordnung so. Mein Publikum, das sind die guten Leute.“

(Süddeutsche Zeitung / 20.08.2019)

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